Mir geht es gut!
Hallo alle zusammen. Also zuerst einmal das wichtigste, mir geht es gut und ich bin gesund. Ich hatte es vor gestern nur einmal kurz geschafft mit meinen Eltern zu sprechen, es reichte aber gerade fuer ein: Macht euch keine Sorgen, mir gehts gut.
Wie ist es mir also ergangen:
Ich bin um kurz nach 1 im Bett gewesen. 2h spaeter wurde ich durch einen kleinen Stein auf meiner Stirn, dem unheimlichen Laerm und das hin und her schwingen des Hauses geweckt. Ich brauchte einige Zeit um zu realisieren was passiert und unter den Tuerrahmen zu springen. Als sich nach 3 Minuten alles ein bisschen beruhigt, ist mein Zimmer voll mit Steinen und Staub, alles liegt auf dem Boden. Als naechstes fallen mir meine Nachbarn ein – die Pensionsmutter und ihr Sohn. Ich ziehe mir Schuhe an und springe die Treppe hinunter nach draussen.
Dort herrscht Chaos. Viele weinen, einige Schreien und andere versuchen zu beruhigen. Ich renne rueber zur anderen Tuer wo mir die beiden voellig veraengstigt entgegen kommen. Ich nehme bei in den Arm und so bleiben wir unter der Tuer stehen bis die letzen Erschuetterungen aufhoeren. Schon jetzt weiss ich, wir hatten Glueck. Das Haus steht noch und alle sind heil rausgekommen. Die Nacht ging danach so schnell vorbei, dass ich mich nicht mehr genau erinnere. Ich ging die Strasse auf und ab um sehen ob Hilfe benoetigt wurde aber unsere ganzer Block war gut davon gekommen. Also blieben wir alle erst einmal im Garten sitzen mit Decken und versuchten uns zu beruhigen. Der Strom faellt natuerlich sofort aus, sowie auch das Handynetz. Ich kann niemanden erreichen also schreibe ich Nachrichten an alle in der Hoffnung das Sie irgendwie durchkommen. die Atmosphäre ist einfach nur unheimlich. Wie in einem Film sitzen alle Nachbarn relativ nah zusammen auf der Strasse, man draengt sich um die wenigen Radios um so wissen was wirklich passiert ist und wie schlimm es ist.
Die Schwiegertochter der Pensionsmutter ist allein mit 2 Kindern (1 Jahr und das andere 1Monat). Ich will also sofort mit dem Auto los und sehen wie es ihr geht. Unser Nachbar haelt mich auf und erklaert mir, im Radio hat er gehoert, das Zentrum soll es viel schlimmer erwischt haben und wir werden nicht durchkommen. Ich will es versuchen aber alle halten mich auf. Gegen 6-7 beginnen wir wieder zu denken und stellen alles Gas ab und sammeln so viel Wasser wie wir Behaelter haben. Wie erwartet, wird das Wasser auch am fruehen Morgen abgedreht. Dann trauen wir uns langsam wieder in Haus und sehen das alles umgestuerzt ist, der Kuehlschrank und alles andere was schwere Beine bekommen hat, aber es dem Haus selbst gut geht.
Es wird hell und wir entschliessen uns nun mit dem Auto loszufahren. Das Zentrum ist wirklich viel schlimmer betroffen. Nahezu alle alten Haeuser sind eingestuerzt, Schulen, Kirchen, oeffentliche Gebaeude hat es meist auch hart erwischt. Wir kommen aber durch und stellen fest, dass es ihr gut geht. Auch eine meiner Freunde besuchen wir und koennen beruhigt nach Hause fahren.
Es ist immer noch unmoeglich jemanden zu erreichen. Wir fruehstuecken und machen uns daran das schlimmste Durcheinander zu beseitigen. Betty und Christoph sind unterwegs auf einer Reittour. Ich mache mir eigentlich keine Sorgen, da ihnen da draussen nichts passieren kann will aber sehen wie es auf dem Grundstueck aussieht und ob die anderen Familien Hilfe brauchen. Also schnappe ich mir wieder das Auto und duese an umgekippten Strommasten und aufgerissene Strassen vorbei bis zum Grundstueck. Allen geht es gut. Die Daecher sind leicht beschaedigt und wie bei allen ist im Haus alles umgestuerzt aber etwas wirklich Schlimmes ist nicht passiert.
Imme noch funktioniert die Kommunikation nicht. Ich kann euch in Deutschland nicht Bescheid geben und von Valentina weiss ich auch noch nichts. Ich mache mir immer mehr Sorgen. Ich erfahre, das die Polizei ein freies WLAN Netz im Zentrum errichtet hat also schnappe ich mir meine Rucksack, den PC und mein Messer und mache los. Warum das Messer – einer der ersten Saetze den man mir nach dem Beben sagt: In Chile, nach dem Erdbeben, kommen die Raeuber.
Ich muss zu Fuss gehen denn Taxis oder Busse gibt es natuerlich nicht und wir werden uns auch darueber bewusst, wie wertvoll das Benzin werden wird.
Mein Eindruck in der Stadt bestaetigt sich. Es ist zwar ruhig, alles scheint unter Kontrolle aber so viele Haeuser sind eingestuerzt und schwer beschaedigt, dass ich nicht nachdenken moechte wie lange der Aufbau dauert. Das Netz ist wirklich da. Ich komme kurz ins Internet und erreiche Mama und Papa, was mir schon mal super wichtig war. Sonst niemanden. Nach 2h verzweifelten Versuchen breche ich auf, da es dunkel wird.
Ich marschiere zum Busterminal. Mittlerweil sehe ich ein, dass das Handynetz nicht besser wird und will irgendwie nach Laja in den Sueden kommen. Das Terminal ist auch im Chaos. Viele Reisebusse mussten in Talca bleiben. Die Leute haben kein Essen, keine Getraenke und keine WC. Wann wieder ein Bus fahren wird kann mir niemand sagen.
Gegen 22Uhr komme ich in die Pension wo sich schon alle Sorgen gemacht hatten. Mittlerweile werden wir uns darueber im Klaren was als naechstes kommt. Supermaekrte gibt es nicht. Die kleinen Laeden sind nach einigen Stunden leergekauft. Batterien, Wasser und Brot als erstes. Ich hatte ziemlich viel am Vortag gekauft, da ich nichts in der Pension hatte. Also hole ich alles, gebe es Isabel(Pensionsmutter) und sage ihr, dass ich es per Anhalter versuchen will. Als ich schon los will sagt mir unser Nachbar, dass er morgen auch fahren will/muss und mich mitnehmen wuerde. Das klingt deutlich sicherer, sodass ich mich mit einer Tasse Kaffee mitten auf die Strasse setze und erstmal durchatme.
Es ist wieder diese Stimmung. Ueberall sitzen die Leute draussen. Kerzenlichter und das laute Radio bestimmen die Atmosphäre. Isabell und Ihre Freundinnen sind sichtlich geschafft und legen sich gegen 12 im Flur auf eine Matratze. Keiner traut sich weit entfernt vom Ausgang zu liegen, viele haben Zelte aufgeschlagen. Ich mache noch einige Runden in der Nachbarschaft. Alles ist Gott sei dank ruhig. Ich sitze noch eine Zeit lang draussen und lausche entsetzt den Nachrichten bis mich gegen 3 nichts mehr auf den Beinen haelt. Seit den Erdbeben lege ich mich das erste mal wieder schlafen, vor dem Haus, auf einem Teppich um alles im Blick zu haben.
Morgens um kurz nach 7 springe ich, aus dem Schlaf gerissen, auf und direkt unter die Tuer. Mich weckt nicht mein Handy sondern ein starkes Nachbeben. Alle sind sichtlich geschafft und vor allem die Lebensgueter Situation wird schlechter. Mein Nachbar kann nicht fahren, er hat kein Benzin auftreiben koennen fuer die laengere Reise. Ich kann jedoch immer noch niemanden erreichen und will endlich wissen ob es Valentina gut geht. Also hole ich den Rest an Essen und meine Wasserdesinfektionstabletten, gebe sie Isabel und mache mich mit sehr leichtem Rucksack – 2Bananen, 1kleines Getraenk und ein Brot auf den Weg zur Autobahn.
Mit Glueck erwische ich sehr schnelle eine Familie die aus Santiago kommt und weiter in den Sueden nach Hause will. Sie haben auf Vorrat Benzin dabei und genug Verpflegung. Auf dem Weg wird mir das Ausmass bewusst. Komplett eingestuerzte Fabriken und Autobahnbruecken, riesige tiefe Risse in der Fahrbahn, in denen teilweise Autos oder Busse stecken und Kilometer lange Schlange an den wenigen halb funktionierenden Tankstellen. Die Strecke ist mit einem kleinen Auto zu schaffen, an einen LKW oder Bus zu denken aber unmoeglich. An meinem Abzweig springe ich raus, laufe 1,5h und werde wieder mitgenommen bis nach Laja. Die Nachrichten kommen nun auch zu uns durch. Ich kann mir mit Grauen vorstellen wie es in den Strand-Regionen aussehen muss. Laja aber ist gut davongekommen denke ich, bis ich vorm einzigen grossem Supermarkt stehe. Chaos, Menschen die rennen und bruellen. Ich brauche kurz bis mir klar wird was passiert. Die Menschen hatten den Supermarkt aufgebrochen und waren dabei alles zu stehlen was nicht festgenietet war. Ich gehe weiter und komme endlich zu Valentinas Haus. Wir fallen uns beide unheimlich gluecklich in die Arme und sind einfach nur froh. Allen geht es gut sodass ich endlich wieder beruhigt sitzen kann und ersteinmal Abendbrot esse. Wie sich herausstellt ist hier das gleiche Problem wie in Talca. Mehl gibt es nur noch rationiert (heute gar nicht mehr) und auch alles andere ist schwer zu bekommen. Kein Strom, kein Wasser kein Gas. Hier habe ich jedoch noch mehr Glueck. Die Haeuser gehoeren der riesigen Fabrik in der auch der Vater arbeitet. Hier geht alles etwas schneller sodass wir schon heute frueh wieder fuer 1h Wasser hatten und am Abend auch. Vor dem Haeuserblock campen alle Familien.
Wir sitzen noch bis um 1 und versuchen zu etwas auszuspannen und lauschen den Nachrichten. Dann falle ich wieder ins Bett, ich war um 8 mit Valentinas Bruder verabredet.
Heute frueh essen wir das letzte Brot im Haus, trinken einen Kaffee und laufen ins Zentrum zum Rathaus. Wir wollen helfen. von 9-20Uhr sind wir mit einem riesigen Tanklaster voll Trinkwasser auf den umliegenden Doerfern unterwegs. Manche haben eigene Quellen und Pumpen. Andere aber kommen auf uns zu gerannt und sind gluecklich endlich sauberes Wasser zu haben. Die Solidaritaet ist ueberall zu spuehren. Keiner von uns ueberlegt wie lange wir schon unterwegs sind und wir versuchen jeden zu erreichen und Wasser zu geben. Wieder zuruek erwartet uns schon Valentina und wir fallen direkt in die Stuehle vom Essenstisch.
Ich bin nun also in Laja und werde vor erst hier bleiben. Ihr braucht euch absolut keine Sorgen machen. Hier ist es relativ ruhig bis auf einige Verrueckte und den Mangel an einigen Lebensmitteln. Heute gab es sogar wieder kurz ein wenig Strom. Daher konnte ich schreiben.
Morgen werden wir wieder los mit dem Tanklaster und Wasser verteilen. Das wird vermutlich erst einmal meine Tagesbeschaeftigung.
Bei weiteren Gelegenheiten melde ich mich wieder. Wie gesagt, das wichtigste ist, mir geht es gut und alle die ich kenne scheinen bei guter Gesundheit. Die wirklich schlimmen Gegenden sind an der Kueste 1,5h von uns weg.
Ganz liebe Gruesse an euch alle, macht euch keine Sorgen.